Jassir Arafat

©photos: guenay ulutuncok

Andenken an Jassir Arafat

Aus dem Notizbuch-Nr.13-

„Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben“ 10. Jan 1987, Hotel Cleopatra-Nikosia

von Guenay Ulutuncok

Wie könnte man „Nein“ sagen, wenn einer anbietet ein Treffen mit „Abu Amar“ Jassir Arafat zu vermitteln! Gewöhnlich gehen solche Angebote nur gegen hohes Honorar an die großen Magazine und Redaktionen. Hätten wir damals geahnt, wie lange uns dieses Angebot beschäftigen würde, wie viele Flugzeuge wir dafür besteigen würden, wir hätten es uns vielleicht doch noch anders überlegt.

Eine Agenturmeldung in den Zeitungen hatte unser Interesse geweckt: ein palästinensischer Vater wollte sein Kind zur Adoption in Europa freigeben. Das Kind sollte in einem Land groß werden, in dem es keinen Krieg gibt.

Wir wollten für diese Geschichte in den Libanon reisen, wo der Mann mit seiner Familie als Flüchtling lebte.

Danach wollten wir den PLO-Chef Jassir Arafat treffen. Unser Kontaktmann ist ein Bekannter meines Journalisten-Freundes Alexander Goeb.

***

Am 21. Dezember 1986 geht es los: Abflug nach Larnaca, Zypern und nach der Ankunft mit dem Taxi weiter in die Hauptstadt Nikosia. Unser palästinensischer Kontaktmann in Wien hat uns dorthin geschickt. Man wird sich dort vor Ort um uns kümmern, versichert er uns.

Zypern ist der Dreh- und Angelpunkt für Palästinenser um von Europa aus in den Libanon zu kommen. Mit dem Schnellboot ist es von der Insel lediglich ein Katzensprung an die libanesische Küste.

Die PLO-Vertretung in Nikosia, größer als so manche Botschaft, ist unsere Kontaktstelle.

Die PLO soll uns über den Luft- oder Seeweg in die palästinensischen Lager im Süden des Libanon schleusen. Unser Kontaktmann in der Vertretung heißt Abdel. Wir warten. Aber in den folgenden Tagen taucht Abdel nicht auf. Es heißt Abdel sei mit „diversen Aufgaben beschäftigt und unterwegs“. Im Krieg gibt es wichtigeres zu tun als zwei Journalisten über das Meer zu bringen und dann auch noch für ihr Wohlergehen verantwortlich zu sein. Aber wir stehen da und wollen rüber.

Verzweifelt kontaktieren wir unseren Vermittler in Wien. Ein gewisser Nasser soll sich ab jetzt um uns kümmern.

Wir werden oft mitten in der Nacht in die Vertretung bestellt um zu erfahren, dass es noch nicht geht. Diskussionen über die Inhalte gibt es nicht. Meistens heiß es: „Morgen wieder kommen“ oder „An der Rezeption warten“.

So gehen mehrere Tage hin und her.

Während dessen eskalieren die Kämpfe im Libanon und der internationale Flughafen in Beirut wird geschlossen. Kurz darauf blockierten die Israelis den Seeweg in den Libanon. Damit ist unser Weg in den Libanon zunächst versperrt.

  1. Dezember 1986 – Mittlerweile sind wir seit 10 Tagen in Nikosia. Wir vertreiben uns die Zeit in den Kaffeehäusern von Nikosia. Wir sind mittlerweile Stammkunden dort. Weihnachten verbringen wir an der sogenannten „Greenline“ der geteilten Stadt Nikosia. Eine Grenze, aus Stacheldraht und Ölfässern, die von UN-Soldaten kontrolliert wird.

Dann wird klar, wir können nicht eingeschleust werden. Es ist zu gefährlich! Nun soll der Termin mit Jassir Arafat vorgezogen werden.

Unser Mann Nasser ist damit beschäftigt den Termin zu realisieren. Wir warten weiter.

  1. Januar 1987 – Endlich die Nachricht: Morgenfrüh geht es los! Wir sollen zum Flughafen nach Larnaca zu fahren. Unterwegs erfahren wir, dass wir auf dem Weg nach Bagdad sind. Arafat soll im Moment dort sein. Zu dieser Zeit hatte Arafat gute Beziehungen zu Saddam Hussein in Irak.

Nach den Passkontrollen am Flughafen in Larnaca werden wir noch von irakischen Sicherheitsleuten überprüft. Sie vergleichen die Namen in unseren Pässen mit ihrer „Telex“-Liste – und konnten sie nicht finden. Ein Blick auf das Papier zeigt uns: Wir stehen zwar darauf aber leider sind die Namen nicht korrekt geschrieben. Da hilft kein verhandeln. Der irakischer Sicherheitsdienst ist gnadenlos und weigert sich uns in der Maschine mitzunehmen.

Gesunder Menschenverstand und die Logik von Sicherheitsleuten haben im allgemeinen miteinander nicht viel miteinander gemein. Da bringt es auch nichts darüber zu diskutieren.

Also fahren wir zurück nach Nikosia und beziehen unsere alten Zimmer wieder. Noch einen Tag später in Bagdad anzukommen ist auch nicht so tragisch.

10 Januar 1987 „Ich habe die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben“ – Hotel Cleopatra.

Dann erfahren wir: Jassir Arafat ist nicht mehr in Bagdad. Wir sollen ihn jetzt in Tunis treffen.

19 Januar 1987 – Mit leichtem Gepäck und der Foto-Ausrüstung fliegen wir über Athen nach Tunis. Nach der Ankunft dauern die Kontrollen über zwei Stunden.

Niemand holt uns ab. Wir nehmen ein Taxi und fahren in Richtung Hamam Shadt, wo das PLO-Hauptquartier in Tunis liegt. Am 1. Oktober 1985 war es von der israelischen Luftwaffe aus der Luft bombardiert worden. Dabei hatte es 60 Tote und 100 Verletzte gegeben. Es ist noch immer weitgehend zerstört. Schutt und Steine soweit ich das in der Dunkelheit erkennen kann.

Es ist nach Mitternacht und es regnet. Der Taxifahrer hat uns irgendwo abgesetzt, weil er nicht weiterfahren konnte. Klatschnass und bis zu den Knien mit Schlamm bedeckt irren wir durch die Nacht. Dann entdecken wir endlich Licht in einem Gebäude. Völlig verdreckt kommen wir dort an und tatsächlich: Dort waren wir richtig! Man erwartete uns. Erleichterung auf beiden Seiten. Nach einer freundlichen Begrüßung und einigen Tassen Tee bringt man uns zu einem Hotel in der Innenstadt von Tunis.

Mit meinen schlammverdreckten Schuhen gehe ich auf dem teuren Teppich zur Rezeption – und will nur noch schlafen.

Ab jetzt warten wir im Hotel in Tunis auf unseren Termin mit Jassir Arafat. Aus Erfahrung wissen wir, dass solche Termine fast immer in der Nacht stattfinden.

Tatsächlich am zweiten Tag, nach Mitternacht werden wir abgeholt.

Knapp vierzig Minuten dauert die Fahrt in der Stadt. Wir steigen aus dem Auto, laufen durch mehrere Gänge, Türen und Hinterhäuser. Es geht rauf und wieder runter und dann stehen wir vor einer Tür. Gut zehn Sicherheitsleute stehen vor uns und starren uns an. Wir sind angekommen!

Wir werden scharf kontrolliert. Sie durch wühlen alle Taschen und ich muss schon sehr aufpassen, dass meine Ausrüstung dabei keinen Schaden nimmt und ich keine Fotos mehr machen kann. Wir dürfen passieren.

Hinter der Tür, ein Zimmer und noch eine Tür und dann stehen wir endlich vor Jassir Arafat.

Ein halbdunkles Zimmer ca. 20 qm groß, 6-7 Personen sind mit uns im Raum. Er sitzt ohne sein berühmtes Tuch hinter einem Schreibtisch, vor einem Fenster. Wenn ich Sicherheitsbeauftragter wäre, hätte ich das nicht zugelassen, schießt mir durch den Kopf.

Arafat arbeitet an irgendwelchen Unterlagen. Ich bin sehr aufgeregt.

Nach einer recht distanzierten Begrüßung, drücke ich direkt auf den Auslöser.

Sofort fordert Arafat mich freundlich aber entschieden auf zu warten mit den Fotos bis er sein Tuch umgelegt hat.

Die Situation ist alles andere als entspannt. Da wir nicht wissen, wie lange Zeit wir mit ihm haben werden, geht es alles sehr hektisch weiter. Außerdem muss ich auf Alex Rücksicht nehmen, da er sendefähiges Tonmaterial ohne störendes Kameramotorengeräusch braucht.

Bei jeder Antwort warte ich erst 20 Sekunden bevor loslege, damit er mit seinem Material etwas anfangen kann.

Es ist wie bei einem ganz normalen Pressetermin. Blitz auf die Kamera und auf den Auslöser drücken. Wenn eine Kamera den Film zurückspult, mit der zweiten weitermachen, eigentlich es ist schrecklich. Keine Zeit etwas von der Atmosphäre wirken zu lassen, geschweige denn gute und durchdachte Bilder zumachen. Natürlich versuche ich wenigstens einige gute Portraits zu bekommen aber ich bin nicht wirklich zufrieden.

Nach 30-40 Minuten ist es vorbei, Jassir Arafat beendet das Interview.

Am nächsten Tag bekommen wir die Möglichkeit ihn zu einem palästinensischen Waisenheim für Kinder zu begleiten.

Es läuft alles im Laufschritt und unzählige Menschen (meist Sicherheitsleute) sind mit dabei.

Monate später werde ich noch eine Möglichkeit bekommen Bilder von Arafat zu machen, in Algier bei der Gründung des Nationalrats der PLO. Leider ruinieren die Sicherheitsleute mit ihren Kontrollen mein gesamtes Bildmaterial.

  1. Januar 1987 – Wir sind wieder in Nikosia angekommen. Leider müssen wir unsere Libanonreise weiter verschieben sagt Nasser.

Alex und ich sind müde und frustriert. Mittlerweile sind wir schon seit über vier Wochen unterwegs. Während der Warterei in Nikosia haben wir eine Menge Wein und Cognac konsumiert. Wir haben genug.

Morgen fliegen wir wieder zurück nach Deutschland – ohne eine große Geschichte aber mit einer großen Erinnerung an diesen Mann, der im Stande ist Massen zu begeistern.

Zu diesem Zeitpunkt ist Jassir Arafat wohl der am meisten gefährdete Mann der Welt. Er hat bereits einige Anschläge überlebt.

***

25 Jahre später und 8 Jahre nach dem Tod Jassir Arafats ermittelt nun Frankreichs Justiz wegen Mordverdachts. Zuvor hatten Proben aus den persönlichen Gegenständen des ehemaligen Palästinenserchefs hohe Konzentrationen an hochgiftigem Polonium-210 gezeigt.

Guenay Ulutuncok, Köln, 28. August 2012