Aus der Serie „Bürgerkrieg und Hungersnot“, Mosambik, ©photo: guenay ulutuncok
Empfinden Menschen, die in Krisengebieten leben, ganz anders als Leute in gesicherten, friedlichen Verhältnissen? Oft wird diese Frage spontan bejaht. Ohne weitere Begründung, einfach nur aus dem Bauch heraus. Von Berichterstattern und von einer Öffentlichkeit, die sich durch Medien informieren läßt – wodurch auch sonst? – , und die aus deren Informationen ihr Weltbild zimmert.
Für diese Form der Kritiklosigkeit gibt es gute Gründe. Es ist für Beobachter allemal leichter, fremdes Leid anzusehen, wenn man sich auf die Vorstellung zurückziehen kann, dass diejenigen, die dieses Leid ertragen müssen, irgendwie doch anders fühlen und denken als man selbst das tut. Gäbe es diesen emotionalen Ausweg nicht: Wie hätte die Welt den Völkermord in Ruanda oder den Zusammenbruch jeder Ordnung in Somalia ertragen können? Wie ließe es sich erklären, dass man seit Jahren den Menschenrechtsverletzungen im sudanesischen Darfur weitgehend tatenlos zuschaut?
Der Fotograf Guenay Ulutuncok gehört zu den – wenigen – Journalisten, die ihrem Publikum die bequeme Flucht aus der bitteren Realität nicht gestatten. Selbst inmitten des größten Chaos und der größten Verzweiflung sucht er stets nach den Resten dessen, was einmal eine funktionierende Zivilgesellschaft gewesen ist. Irgend ein Überbleibsel läßt sich da immer finden: Eine ehemalige Schule, die heute eine bizarre Ruine im Nirgendwo ist. Ohne Türen, ohne Fenster, ohne Tafel. Der Versuch, eine einigermaßen wohnliche Atmosphäre für die Familie zu schaffen – notfalls eben ohne Dach. Oder ein Foto von einem begeisterten Kind, das ein Geschenk bekommt. Einfach so. Trotz Krieg.
Guenay Ulutuncok bildet den unzerstörbaren Kern der Zivilgesellschaft ab – unzerstörbar auch und gerade inmitten der destruktiven Kraft militärischer Auseinandersetzungen. Das ist eine pazifistische Haltung, die sich nicht einmal selbst zu definieren braucht. Sie wirkt allein aus sich selbst heraus. Eine ziemlich eindrucksvolle Form der Stärke durch (scheinbare) Schwäche.
Biographische Notiz: Bettina Gaus ist politische Korrespondentin der „taz“. Von 1990 bis 1996 war sie Korrespondentin der „tageszeitung“ für Ost-und Zentralafrika, und sie hat in dieser Zeit mit Guenay Ulutuncok unter anderem Somalia, Eritrea und Mozambique bereist.