Ich stand daneben
Mehr als ein viertel Jahrhundert ist seit dem vergangen. Genau genommen zwei Dutzend Jahre – fast auf den Tag genau sogar, nachdem ich noch einmal die alten Kopien der achtseitigen taz-Extra-Ausgabe vom 30. April 1985 durchgeblättert habe: „Acht Seiten Reportagen, Berichte und Fotos aus dem Leben der Gastarbeiter-Rückkehrer in der Türkei – Die umgekehrte Einwanderung. Texte Hans-Ulrich Dillmann – Fotos: Guenay Ulutuncok“
Neben diesem gedruckten Produkt unser Zusammenarbeit ist mir noch etwas wichtiges geblieben, dass nicht in meinen Leitz-Ordner archiviert worden ist: Ein großformatiges A2-Schwarzweissfoto zeigt mich. Wenn ich mich recht entsinne, in der Nähe von Pamukkale. Ein alte Frau kauert auf dem Lehmboden vor ihrer einfachen Hütte. Ich lehne, am rechten Bildrand drappiert, an der Begrenzungsbrüstung der Behausung. Zwischen der Bäuerin und mir liegen nicht nur knapp zwei Meter Distanz, sondern Kulturwelten – die damals Guenay auf SW-Film bebannt hat. Dazwischen, wie ein Kontrapunkt, leucht eine pinkfarben nachträglich kollorierte Plastikschüssel, die zum Trocknen aufgestellt war.
Das Foto, dass Guenay mir zum Abschluss unserer fast fünfwöchigen Reportagereise durch die Türkei geschenkt hat und das in meinem Büro hängt, begleitet mich noch immer – auch wenn zwischen unsereren Wohnorten inzwischen mehr als 9.000 Kilometer Distanz liegen. Der Istanbuler Guenay in Köln und der vom Lebensgefühl kölsche Dillmann in der Karibik – arbeitend da, wo andere Urlaub machen.
Das Foto ist aber nicht nur eine sentimentale Erinnerung an eine tolle Zusammenarbeit, die ich mir heute immer noch Wünsche – und zu dem ich immer seltener die Möglichkeit habe – im Zeitalter der elektronischen Nachrichtengeschwindigkeit. Noch einmal fünf Wochen auf den Spuren von Menschen mich zu begeben, von denen und von deren Leben als „Gastarbeiter“ ist mehr nach ihrer Rückkehr erfahren habe als all die Jahre, die ich mit Arbeitsmigranten und politischen Flüchtlingen in Köln zusammen verbracht habe.
Guenay inzenierte das Foto. Denn auch wenn er mir das Foto zum Abschluss der Tour irgendwann danach persönlich überreichte, sein Interesse galt der Frau. Eine Hutzelalte – wenn ich mich so respektlos einmal ausdrücken darf – die Haare auf den Zähnen hatte, wie ich durch die Übersetzung von Guenay erfuhr. Sie war die Zweitfrau eines Bauern. Die „erste“ Gattin hatte bereits das zeitliche gesegnet. Und obwohl sie mir steinalt erschien, machte sie sich um ihren gebrechlichen „Alten“ lustig – sie lies kein gutes Wort an ihm.
Die alte Frau wollte Guenay aufs Foto bannen. Aber sie wollte nicht, sperrte sich, winkte ab und so musste ich mich in Position begeben – damit er mich ablichtete und sie mit auf dem Foto hatte. Und so stand ich daneben und besitze heute noch eine Erinnerung an eine wunderbare Zusammenarbeit.
Hans-Ulrich Dillmann (Santo Domingo/Berlin)
Jahrgang 1951, Kölner vom Lebensgefühl, gelernter Drucker, Journalist und Buchautor, zur Gründergeneration der Berliner »tageszeitung« (taz) gehörend. Korrespondent der »Jüdischen Allgemeinen« für Lateinamerika- und der »taz« für die Karibik, Autor von Rundfunk- und Fernsehbeiträgen, Beiträge in »die wochenzeitung« (woz), Zürich, »Das Parlament«, »Frankfurter Rundschau«, »Berliner Zeitung«, »Neues Deutschland«, »jungle world«, »ila-Zeitschrift der Informationsstelle Lateinamerika« und Lateinamerika Nachrichten.
Weitere Informationen: http://www.hudillmann.de/ueber.html